Hunger leiden hieß kein Brot haben, dafür wurden in früheren Zeiten Kriege geführt und es gab Aufstände. Als die französische Königin Marie Antoinette am Vorabend der Französischen Revolution erfuhr, dass die Frauen revoltierten, weil sie kein Brot hätten, soll sie geantwortet haben „dann sollen sie eben Kuchen essen“.
In diesem Kapitel möchte ich zunächst in einem kurzen kulturgeschichtlichen Gang durch die Jahrhunderte die Bedeutung des Brots als Grundnahrungsmittel hervorheben. Ein kleiner Ausflug in die Vielfalt europäischer und speziell deutscher Mehlmischungen und Brotrezepte führt uns in die Geschichte der Backtechnologie – und zeigt exemplarisch, wie stark die Bereiche gesellschaftliche, ökologische und technologische Entwicklung, Kulturgeschichte und Ernährung als soziale Alltagspraxis sich wechselseitig beeinflussen und durchdringen. Schließlich werfen wir einen Blick auf zwei Dynamiken dieses Prozesses, nämlich die Entwicklung von Vielfalt, Ausdifferenzierung und regionalen Besonderheiten einerseits, gleichzeitig als Gegenbewegung eine Homogenisierung der Nahrungsmittelproduktion (Stichwort „McDonaldisierung“), d.h. eine Vereinheitlichung der Ernährungsmuster infolge des globalisierten Nahrungsmittelmarkts und des international agierenden Agrobusiness.
Es gibt vermutlich kein anderes Lebensmittel, das in allen Kulturen und Zeiten eine derart zentrale Stellung einnimmt wie das Brot – für die Ernährung und als Symbol. Brot war das Nahrungsmittel und Symbol für Nahrung schlechthin, daher spielt es auch in allen Religionen eine zentrale Rolle, es ist Opfergabe wie Grabbeigabe und symbolisiert das Göttliche und die Fruchtbarkeit. Die ältesten Funde von geröstetem wildem Getreide sind etwa 12.000 Jahre alt, die Körner wurden damals zerrieben, mit Wasser zu einem Brei vermengt und als Fladenbrot auf einem heißen Stein gebacken. Vor 5000 Jahren, so kann vermutet werden, hat wohl jemand in Ägypten den angesetzten Getreidebrei in einer Ecke vergessen oder in der Sonne stehen lassen, er fing mit der Zeit an zu gären – und der Sauerteig war erfunden. Und nicht nur das, sondern auch das Bier. Der 4000 Jahre alte Kodex Hammurabi spricht von „essbarem Bier“ und „trinkbarem Brot“ und erwähnt auch eine „Bier-Mutter“, Vorläufer unserer heutigen Hefe. 30 Namen für verschiedene Brotsorten erwähnt ein Papyrus.
Nach der Eroberung durch Alexander den Großen übernahmen die Griechen die ägyptische Brotkultur und machten sie zum Rückgrat ihrer Küche. Sie entwickelten eine Vielfalt an Brotformen, indem sie die verfügbaren Getreidesorten kombinierten. Weizen, Emmer, Dinkel, Roggen, Gerste, aber auch Reis und Erbsenmehl wurden verarbeitet und mit Speck, Käse, Honig oder Öl gewürzt, das Wasser wurde auch mit Milch oder Wein gemischt. Duftende Weißbrote waren der Gipfel des Brotgenusses, und man wusste auch schon, dass ein Brot umso heller wird, je mehr das gemahlene Getreide ausgesiebt wird.
Im Römischen Reich hatte dann jeder Bürger (d.h. alle außer Frauen, Kindern und Sklaven) einen Rechtsanspruch auf die Zuteilung von Brot. „Brot und Spiele“ garantierten, dass die Bürger nicht an Hunger leiden mussten, die Spiele dienten der Ablenkung – und dass man nicht auf dumme Gedanken (z.B. Aufstände) kommt.
Am Kaiserhof in Konstantinopel war feines Weißbrot aus Weizen das Grundnahrungsmittel, es begleitete eine hochentwickelte Esskultur mit griechischen, römischen und orientalischen Zutaten. Im 10. Jahrhundert war dort in der Oberschicht auch schon der Gebrauch der Gabel üblich. In der Unter- und Mittelschicht dominierten vegetarische Produkte, meist (dunkleres) Brot, Gemüse und Früchte.
In vielen Ländern ist das Fladenbrot noch heute das beliebteste Brot, und von Indien über Äthiopien, Armenien, die Türkei bis nach Mexiko wird es mit unterschiedlichen Zutaten gewürzt und eignet sich auch heute noch als Schnellimbiss, etwa gefüllt mit Gemüse oder Fleisch.
Über das Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert waren Brot- und Breigerichte die wichtigsten Lebensmittel. Kriegerische Auseinandersetzungen oder Klimaschwankungen führten regelmäßig zu Missernten und Hungersnöten. Dies traf dann besonders die Armen, da bei ihnen der Anteil des Brotkonsums an der Ernährung weit über 50% lag, während sich die höheren Schichten nur zu etwa 12% von Brot ernährten, weil sie sich Fleisch und Fisch leisten konnten. Je nördlicher in Europa desto eher wurde Weizen mit Roggen gemischt, während im Süden eher Gerste und Dinkel zugemischt wurde. Heute sieht man dies übrigens als Grundlage für die Vielfalt der Brotsorten in Deutschland.
Im Mittelalter war Weißbrot so kostbar, dass große Geschäfte mit Fälschungen und Zumischung gemacht wurden, etwa Gips, weißem Töpferton oder gemahlenen Knochen. Dies war dann die Geburtsstunde der Zünfte, die u.a. die Qualitätssicherung garantierten – und für Bestrafung der Betrüger sorgten, auch wenn jemand beispielsweise das angegebene Gewicht nicht einhielt. Neben der Qualitätssicherung waren die Zünfte dafür zuständig, den Markt zu kontrollieren, ebenso die Wehr- und Feuerschutzpflichten, und es gab erste Ansätze einer Kranken- und Sozialfürsorge für die Zunftmitglieder sowie einer Ausbildung der Bäcker. Das Zunftwesen entwickelte sich also zu einem bedeutenden Faktor der mittelalterlichen Stadtentwicklung. Darüber hinaus gab es die „Gesellenwanderung“, die über Jahrhunderte für einen andauernden Austausch von Rezepten und Backtechniken in Europa geführt hat.
Die Technikentwicklung im Zuge der Industrialisierung im 19. Jahrhundert führte zu sog. Walzenmühlen, eine neue Mahltechnik ermöglichte das Backen mit feinerem Mehl. Dies hatte allerdings zur Folge, dass Mangelerscheinungen zunahmen, denn viele Nährstoffe sind in der Kleie enthalten, und je feiner ausgesiebt das Mehl, desto heller wird zwar das Brot, aber eben ohne die wichtigen Inhaltsstoffe, die im dunkleren Mehl noch enthalten sind. Im 19. Jahrhundert lässt sich auch ein grundlegender Wandel der Alltagskost feststellen: Kartoffelgerichte lösten in vielen Regionen Europas die jahrhundertelang dominanten Brot- und Breigerichte ab.
An diesem Beispiel lässt sich zeigen, wie eng verflochten kulturelle, soziale, technologische und ökologische Entwicklungen sind. Hier ist die Industrialisierung die treibende Kraft, konkret die Erfindung einer neuen Technologie zum Mahlen des Getreides. Damit erfüllt sich zwar die jahrhundertealte Sehnsucht nach dem prestigeträchtigen weißen Brot, das bisher den Reicheren vorbehalten war, aber eben mit der Folge der Mangelernährung.
Die fundamentale gesellschaftliche Umbruchsituation im 19. Jahrhundert erfasste alle Lebensbereiche, und bekanntlich gab es Mitte des Jahrhunderts vor allem wegen großer Hungersnöte die großen Auswanderungswellen nach Nord- und Südamerika. Ursachen und Wirkungen sind schwer auszumachen, es sind vielfältige und sich wechselseitig verstärkende Entwicklungsdynamiken. Es genügt also nicht, sich nur auf die kulturgeschichtliche Perspektive zu beschränken oder die Entwicklung der Ernährungsgewohnheiten. Wir müssen einen systemischen Blick entwickeln, auch und gerade, weil es für unser Denken leichter ist, monokausal hier eine Ursache und dort die Wirkung zu identifizieren. Ein Blick auf die Geschichte der Koch- und Esswerkzeuge (vgl. Wilson 2014) zeigt, wie unser Ernährungsverhalten zu bestimmten technologischen Erfindungen führt und die Küchengeräte wiederum einen Einfluss auf unsere Esskultur haben.
Kehren wir zurück zur Vielfalt der Mehlmischungen und Brotsorten. Mehl, Salz und Wasser, mehr braucht es nicht für das Grundrezept von Fladenbrot, das wir – wie bereits erwähnt – schon sehr früh in vielen Kulturen finden. Mit einem Treibmittel, Hefe oder Sauerteig, als der vierten Zutat öffnet sich dann bereits die große Welt des Brotbackens, und je nach Region, Tradition und Verfügbarkeit bestimmter Zutaten zeigt sich eine unendliche Vielfalt an Brotsorten. Variiert wird bei der Mehlsorte, den Mehlmischungen und den Ausmahlungsgraden[1].
Die bei uns gängigen Getreidesorten sind Weizen, Gerste, Hafer, Dinkel und Roggen, als wiederentdeckte Urformen können noch Emmer und Einkorn genannt werden. In Mexiko und den USA ist es üblich, dem Weizen einen höheren Anteil Maismehl zuzumischen, - als Fladenbrot bekannt als Tortilla. Und in einigen mittelamerikanischen Ländern wird diese Rezeptur noch weiterentwickelt, indem etwa in die Mitte des Teigs ein Esslöffel Bohnenpüree platziert wird. Tortilla, Pizza oder Chapati aus Indien – die brotähnliche Grundlage eignet sich gut, um sie mit Gemüse aller Art oder Fleisch zu belegen, - ein kulturübergreifendes Grundrezept.
Wer gerne Brot backt, wird feststellen, dass nur Weizen und Dinkel wegen ihrer guten Klebereigenschaften und des Glutens ein lockeres Brot ergibt, alle anderen Getreidesorten haben zwar teilweise höherwertigere Inhaltsstoffe, also Vitamine, Eiweiß- und Mineralstoffe, aber wenn man lockeres Brot mag, sollten diese Getreidesorten, so der Tipp eines Bäckers, 30-40% der Mehlmischung nicht übersteigen.
Nach der Zusammensetzung der Mehlmischungen ergeben sich bei der Flüssigkeit weitere Variationsmöglichkeiten: Im Mittelmeerraum dominiert das Olivenöl, folglich wird etwa bei den jüdischen Matzen viel Öl und dafür weniger Wasser benutzt. Mit jeder Art von Flüssigkeit, auch Bier oder etwa Buttermilch, kann das Rezept variiert werden. Wenn statt Wasser Milch verwendet wird und dazu noch Ei, Zucker und Butter kommen, landen wir beim Hefezopf, dem französischen Brioche, den englischen Scones bzw. süßen Milchbrötchen. Schließlich gibt es bei den sonstigen Zutaten – Körnern und Kernen aller Art sowie Gemüse, Käse, Schinken oder Nüssen, - weitere Variationsmöglichkeiten und regionale Besonderheiten, ganz zu schweigen von den Gewürzen, die außer dem Salz dem Brot seine besondere Note geben können. Brot ist also, wie die Autorin Niki Segnit in ihrem Buch „Intuitiv kochen“ (2018) schreibt, ein „Kontinuum“ (28), das nicht nur die Vielfalt kultureller Welten öffnet, sondern auch zu eigener Kreativität anstiftet (vgl. Segnit 2018, 22 ff.).
Mit aktuell über 3.200 verschiedenen Brotspezialitäten im Deutschen Brotregister ist Deutschland Brotweltmeister. Kein anderes Land bietet eine solche Vielfalt und Qualität: Beides hängt nun nicht nur von den Mehlmischungen und den verwendeten Flüssigkeiten ab, sondern auch von der sog. „Teigführung“ (eine Vokabel, die ich auch erst lernen musste). In der industriellen Brotproduktion wird nach der Devise verfahren „time is cash time is money“, alles muss schnell gehen, und notfalls hilft man dem Gärprozess, der Konsistenz und der Krustenbildung mit einer Vielzahl chemischer Zusätze nach. In der traditionellen Bäckerzunft gilt dagegen das Motto „Gut Brot will Weile haben“ (vgl. Weber/Ott 2016): Mit einer „langen Teigführung“ schmeckt das Brot nicht nur objektiv besser, es wird auch bekömmlicher, ist leichter verdaulich, weil bestimmte Inhaltsstoffe durch eine 24-stündige Gärung „aufgeschlossen“ werden. Man vermutet, dass die Klagen über „Weizenunverträglichkeit“ ihre Ursache in einer kurzen Teigführung haben, wie sie von Brotfabriken praktiziert wird.
Nach der Teigführung schieben wir das Brot in den Ofen, kulturgeschichtlich ein spannender Vorgang. Schon in der Jungsteinzeit wurde das Fladenbrot auf einem heißen Stein oder Tonteller gebacken. Für einen größeren Brotlaib brauchte man jedoch einen Backofen. Im arabischen Raum war der Erdofen weit verbreitet. Die Urform des Backofens war viele Jahrhunderte, dass in derselben Backkammer zunächst Feuer gemacht wurde, um den Ofen aufzuheizen, dann wurde die Glut zur Seite geschoben und das Brot in der Mitte der Kammer gebacken. Diese Backtechnik nutzten schon die Römer, er wird auch als „altdeutscher Backofen“ bezeichnet. Erst im 19. Jahrhundert gab es einen technologischen Sprung mit dem sog. Dampfbackofen als indirekt beheiztem Backraum, er hatte den Vorteil, dass er kontinuierlich beheizt werden konnte.
Wie lässt sich nun erklären, dass es in Deutschland eine solche Vielfalt an Broten und Kleingebäck gibt?
Das Brotinstitut gibt auf diese Frage zwei Antworten. Zum einen hängt die Frage des Getreideanbaus eng mit der Bodenbeschaffenheit zusammen: Lehmiger Sandboden und kühlere Temperaturen galten als günstig für Roggen, das wichtigste Getreide in den nördlichen Regionen, während Süddeutschland und die Regionen südlich der Alpen eher für Weizen und Dinkel geeignet waren. Zum anderen war Deutschland länger als andere Staaten seit dem Mittelalter von Kleinstaaterei geprägt, anders gesagt, die regionalen Besonderheiten wurden immer besonders betont (der Föderalismus der Bundesländer ist heute noch Ausdruck dieser kulturell prägenden Mentalität). Und so konnten sich lokale und auch regionale Traditionen besonders lange halten. Und als die Brotindustrie im Zuge der Globalisierung für mehr Vereinheitlichung sorgte, besannen sich die lokalen Bäcker vielerorts auf alte, vergessene Rezepte aus der Region und sorgten somit für eine Verbreiterung der Produktpalette und eine Qualitätssteigerung in diesem Handwerk. In der Hoffnung, damit wettbewerbsfähig zu bleiben.
Dies ist umso notwendiger, als das Brot nicht mehr wie in früheren, stärker religiös geprägten Zeiten, in den Jahreskreislauf und die damit verbundenen Riten eingebunden ist. Die traditionellen Gebäcke zur Advents- und Weihnachtszeit, zu Neujahr, zur Fastnacht, zu Ostern oder Allerseelen sind nur noch in Ansätzen und eher in ländlichen Regionen lebendig. Die Website des Brotinstituts bietet eine Fülle von Beispielen, die die Bedeutung bestimmter Brotsorten und Gebäcke für einzelne Phasen im Lebenslauf, in Religion und Kunst sowie in der Sprache in Form von Sprichwörtern zeigen.
Abschließend bleibt hervorzuheben, dass die hier aufgeführten Zusammenhänge vor wenigen Jahren die UNESCO veranlasst hat, die deutsche Brotkultur als immaterielles Welterbe anzuerkennen. Angesichts der Tatsache, dass jedes Jahr rund 400 Bäckereien schließen und traditionelle Handwerkskunst von industrieller Massenproduktion verdrängt wird[2], stellt sich die Frage, ob dieser Titel „Welterbe“ mehr sein kann als ein Hilferuf einer vom Aussterben bedrohten Handwerkskunst. Sicherlich ist es ein Zeichen der Wertschätzung dieses traditionsreichen Handwerks, das wie kaum ein anderes nicht nur die Menschen satt machte, sondern auch zum Fundament unserer Kulturgeschichte wurde. Aber hilft das gegen ökonomische Zwänge, gegen den Konkurrenzdruck, dem die Bäckerei um die Ecke ausgesetzt ist? Exemplarisch zeigt sich am Brot, was für die meisten Nahrungsmittel gilt: Der ökonomische Druck, der Zeitgeist (dass alles immer schneller gehen muss) und eine Tendenz zur weltweiten Vereinheitlichung der Nahrung (Stichwort McDonaldisierung) zwingen zum Nachdenken darüber, was und wie wir essen und wie wir leben wollen.
Stellen wir den Welterbetitel für das Brot in unseren Bildungskontext, v.a. in den Kontext „Bildung für Nachhaltige Entwicklung“, lassen sich daraus eine Reihe von weiterführenden Fragen ableiten, etwa:
1. Zum Weltkulturerbe wird, was im Rückblick auf eine Kulturgeschichte als schützenswert eingeschätzt wird. Was kann und soll (in welcher Weise) geschützt werden, ohne dass es zu einer musealen Erstarrung kommt? Bedeutet eine Wertschätzung des Brots nicht auch eine Weiterentwicklung? Wenn ja, in welche Richtung?
2. Die Vielfalt und die regionale Verwurzelung des Brots in Deutschland war Begründung für den Welterbetitel. Sollte nicht der Blick geweitet werden auf die Brotkulturen auch der anderen, z.B. europäischen Länder? Eine international vergleichende Perspektive könnte die Erkenntnis bringen, dass es viele regionale Unterschiede, aber möglicherweise viel mehr Gemeinsamkeiten gibt.
3. Am Beispiel Brot ist deutlich geworden, dass die Vielfalt der Backprodukte tendenziell bedroht ist durch eine globalisierte Nahrungsmittelindustrie, gesundheitsschädliche Zusatzstoffe bzw. einen Lebensstil, der sich ebenfalls als klimaschädlich erweist. Es geht also über das Brot hinaus um den Erhalt der Vielfalt gesunder Nahrungsmittel, um deren nachhaltige Produktion wie auch um die Entwicklung neuer Lebensstile, die es ebenso „nachhaltig“ zu gestalten gilt. Welche Ansätze in der (schulischen) Bildungsarbeit sind geeignet, diese Zusammenhänge zu erschließen, d.h. zu erkennen und auch zu erfahren?
4. Mit jedem Nahrungsmittel lässt sich ein breites Spektrum ökologischer, ernährungswissenschaftlicher, gesellschaftlicher, aber auch kulturgeschichtlicher und interkultureller Themenfelder erschließen. Wie könnte ein Bildungskonzept aussehen, das die Lernenden neugierig macht, so dass sie Lust verspüren, immer mehr nachzufragen und sich „generativ“ solche Themenfelder selbst erschließen (wollen)?
Eine Wertschätzung des Welterbes Brot lenkt also den Blick auf die Bedeutung kultureller Vielfalt in allen Lebensbereichen. „Das gemeinsame Haus Europa“ war der Titel einer Ausstellung 1999 im Museum für Völkerkunde Hamburg. Die dazu gehörige Publikation zeigt sehr anschaulich, dass die Vielfalt der Lebensformen und ihre Einheit als zentrales Kennzeichen, identitätsstiftend waren für den europäischen Kontinent.
Differenzierung und Integration, - das sind die beiden Prinzipien, mit denen sich gerade die europäische Geschichte und Kulturgeschichte beschreiben lässt. Einerseits geht es um die Entwicklung und Wertschätzung von Vielfalt, andererseits um die Arbeit an einer neuen Einheit, einer neuen „integrierteren“ Form des Zusammenlebens. Migration ist ein zentrales Merkmal der europäischen Geschichte, sie hat in den vergangenen Jahrhunderten wesentlich zum Austausch zwischen Menschen und von Ideen und Lebensformen beigetragen, damit zu einer Steigerung einer Vielfalt von Lebensentwürfen, Lebens- und eben auch von Essgewohnheiten. Eine Wertschätzung dieser Dynamik und dieser Vielfalt als Bildungsziel könnte dazu beitragen, dass Migration nicht mehr als bedrohlich wahrgenommen wird, sondern als Bedingung für gesellschaftliche Entwicklung.
Literatur
Häussler/Werner Kräling (2016): Faszination Brot. Grundlagen, Tipps und Rezepte aus dem Häussler Backdorf, Stuttgart (Matthaes Verlag)
Museum für Völkerkunde Hamburg (Hrsg.)(1999): Das gemeinsame Haus Europa. Handbuch zur europäischen Kulturgeschichte, München (dtv)
Paczensky, Gert von; Maria Dünnebier (1999) [1994]: Kulturgeschichte des Essens und Trinkens, München: Orbis
Niki Segnit (2018): Intuitiv kochen, München/Berlin (Berlin Verlag/Piper)
Günther Weber / Dieter Ott (2016): Gut Brot will Weile haben, Weil der Stadt (Hädecke Verlag)
Bee Wilson (2014), Am Beispiel der Gabel. Eine Geschichte der Koch- und Esswerkzeuge, Berlin (Insel)
https://www.brotinstitut.de/brotkultur/historische-informationen
[1] Je niedriger die „Typen“-Zahl, also beim Weizen z.B. 405 statt etwa 813 oder 1150, desto heller das Brot – und desto weniger Ballaststoffe, d.h. auch weniger nahrhaft].
[2] vgl. https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/weltkulturerbe-deutsches-brot-in-gefahr-100.html (26.01.20)